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Als Menschen neigen wir dazu, sinnlose Forderungen und bedeutungslose Fragen an das Universum zu stellen. Allzu häufig stellen wir solche Fragen, nachdem wir uns innerhalb eines Bezugsrahmens sachkundig gemacht haben, der wenig oder gar keine Relevanz für den Kontext der Frage besitzt.
Zensunni-Feststellung
An einem seltenen Nachmittag der Entspannung sonnte sich Dr. Wellington Yueh auf der Veranda seines Hauses auf Richese und dachte über Nervensysteme und Schaltkreise nach. Am Himmel glitt der künstliche Laborsatellit Korona vorbei, der den Planeten zweimal pro Tag im niedrigen Orbit umrundete.
Nachdem acht Jahre vergangen waren, hatte Yueh seine unangenehmen Erfahrungen bei der Untersuchung von Baron Wladimir Harkonnen beinahe vergessen. In der Zwischenzeit hatte der Suk-Arzt große Fortschritte gemacht, und seine eigenen Forschungen waren wesentlich interessanter als irgendeine Krankheit.
Yueh hatte die fürstliche Bezahlung durch den Baron in Laboreinrichtungen rund um sein neues Anwesen auf Richese investiert und viel auf dem Gebiet der Cyborg-Entwicklung erreicht. Nachdem das Problem der Verbindung zwischen biologischen Nerven und elektronischen Rezeptoren gelöst war, hatten sich die anschließenden Erfolge sehr schnell eingestellt. Neue Methoden, neue Techniken und zum Entzücken der Richesianer neue kommerzielle Möglichkeiten.
Premierminister Ein Calimar hatte bereits erste kleine Gewinne aus dem Cyborg-Geschäft eingestrichen, indem er still und heimlich bionische Hände, Füße, Ohren und Augen mit optischen Sensoren verkaufte. Genau diesen Aufschwung hatte die kränkelnde richesische Ökonomie benötigt.
Zum Zeichen seiner Dankbarkeit hatte der Premierminister dem Arzt eine prächtige Villa mit großzügigem Grundstück auf der hübschen Manha-Halbinsel geschenkt, dazu eine komplette Dienerschaft. Yuehs Frau Wanna fühlte sich in ihrem Heim sehr wohl, vor allem in der Bibliothek und an den Meditationsteichen, während der Arzt selbst die meiste Zeit in seinen Forschungsstätten verbrachte.
Er nahm einen Schluck vom süßen Blütentee und beobachtete, wie ein weiß-goldener Ornithopter auf einem Rasenstück am Seeufer landete. Ein Mann in tadellosem weißem Anzug stieg aus und kam über die sanft ansteigende Fläche in Yuehs Richtung gelaufen. Trotz seines fortgeschrittenen Alters bewegte er sich recht schnell. Die Sonne spiegelte sich auf seinen goldenen Revers.
Der Arzt erhob sich von der Sonnenliege und verbeugte sich. »Was verschafft mir die Ehre Ihres hohen Besuchs, Premierminister Calimar?« Yuehs Körper war schlank und sehnig. Er trug einen Schnurrbart und hatte das lange schwarze Haar mit einem silbernen Ring zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Calimar setzte sich an einen Tisch, der im Schatten der Veranda stand. Er lauschte auf einen Lautsprecher im Gebüsch, der Vogelgesang imitierte, und verscheuchte einen Diener, der sich ihm mit einem Tablett voller Getränke näherte. »Dr. Yueh, ich möchte, dass Sie über die Tragödie des Hauses Atreides und den schwer verletzten Rhombur Vernius nachdenken.«
Yueh strich über seine langen Schnurrbartenden. »Ein bedauerliches Unglück. Schrecklich – nach dem, was meine Frau mir darüber erzählt hat. Prinz Rhomburs Konkubine ist eine Bene Gesserit, genauso wie Wanna, und ihre Botschaft klang sehr verzweifelt.«
»Ja. Vielleicht könnten sie ihm helfen.« Calimars Augen funkelten hinter seinen Brillengläsern. »Ich bin sicher, dass wir einen exorbitanten Preis verlangen können.«
Yueh kam diese Bitte sehr ungelegen. Er genoss zwar die Muße auf seinem Anwesen, wollte aber so schnell wie möglich seine Arbeit fortsetzen, da es noch so viel zu tun gab. Er wollte nicht umziehen, und schon gar nicht auf eine feuchte Welt wie Caladan. Trotzdem wurde ihm auf dieser modernen Industriewelt allmählich langweilig. Hier gab es kaum noch Herausforderungen außer Verfeinerungen der Arbeit, die er schon vor Jahren geleistet hatte.
Er dachte über Rhomburs Verletzungen nach. »Ich habe noch nie zuvor einen so umfangreichen Körperersatz geschaffen.« Er strich mit einem Finger über seine purpurroten Lippen. »Es wäre eine große Aufgabe, die viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Vielleicht müsste ich mich sogar dauerhaft nach Caladan versetzen lassen.«
»Ja, und Herzog Atreides würde für alles bezahlen.« Calimar blickte ihn erwartungsvoll an. »Eine solche Gelegenheit dürfen wir uns nicht entgehen lassen.«
* * *
Der Hauptsaal von Burg Caladan wirkte riesig, genauso wie der uralte Stuhl des Herzogs, von dem aus Paulus Atreides viele Jahre lang sein Volk regiert hatte. Leto schien weder diesen großen Raum noch die Leere in seinem Herzen auszufüllen zu können. Trotzdem hatte er sich erstmals wieder in den Saal gewagt. Allein das war ein Fortschritt.
»Duncan Idaho hat mich auf eine beunruhigende Angelegenheit aufmerksam gemacht, Tessia.« Leto starrte die schlanke Frau an, die in einem Gewand aus Schimmersamt vor ihm stand. Sie hatte ihr mausbraunes Haar männlich kurz geschnitten. »Hast du einen Suk-Arzt angefordert? Einen Cyborg-Spezialisten?«
Tessia trat von einem Fuß auf den anderen und nickte. Sie erwiderte seinen Blick aus sepiafarbenen Augen und demonstrierte eine unerbittliche Stärke, die an Trotz grenzte.
»Sie sagten, ich sollte jedes Mittel nutzen, mit dem wir ihm möglicherweise helfen können. Das habe ich getan. Es ist Rhomburs letzte Chance.« Ihr Gesicht rötete sich. »Wollen Sie sie ihm verweigern?«
Der neue Schwertmeister Duncan Idaho stand nicht weit entfernt in einer schwarz-roten Atreides-Uniform da und verzog das Gesicht. »Haben Sie im Namen des Herzogs gesprochen und ohne Rückfrage Versprechungen gemacht? Sie sind nur eine Konkubine, die ...«
»Mein Herzog gab mir die Erlaubnis, alle notwendigen Schritte zu unternehmen.« Tessia wandte sich an Leto. »Wäre es Ihnen lieber, wenn Rhombur bleibt, wie er jetzt ist? Oder würden Sie lieber die Tleilaxu fragen, ob sie für ihn einen neuen Körper aus Ersatzorganen heranzüchten könnten? Mein Prinz würde lieber den Tod wählen, wenn das seine einzige Chance wäre. Dr. Yuehs neuartige Cyborg-Technik bietet uns eine Alternative.«
Während Duncan weiterhin ein finsteres Gesicht zog, musste der Herzog unwillkürlich nicken. Er erschauderte, als er daran dachte, in welchem Umfang der Körper seines Freundes durch synthetische Teile ersetzt werden musste. »Wann soll der Suk-Arzt eintreffen?«
»In einem Monat. Rhombur kann solange in der Lebenserhaltungswanne bleiben, und Dr. Yueh braucht die Zeit, um die Komponenten zu bauen, die Rhomburs ... Verluste ersetzen sollen.«
Leto atmete tief durch. Sein Vater hatte ihn immer wieder ermahnt, dass ein Herrscher ständig die Kontrolle behalten musste – oder zumindest diesen Eindruck erwecken musste. Tessia hatte sehr ehrgeizig gehandelt, als sie in seinem Namen gesprochen hatte, und Duncan Idahos Entrüstung war völlig gerechtfertigt. Aber es hatte zu keinem Zeitpunkt außer Frage gestanden, dass Leto jeden Solari aus den Kassen des Hauses Atreides ausgeben würde, um Rhombur zu helfen.
Tessia richtete sich auf, und in ihren Augen stand aufrichtige Liebe. Dennoch warnte Duncan: »Sie dürfen nicht den verwickelten politischen Hintergrund vergessen, Herr. Vernius und Richese waren seit vielen Generationen Rivalen. Es könnte sich um eine Intrige handeln.«
»Meine Mutter war eine geborene Richese«, warf Leto ein, »also bin auch ich mit diesem Haus verwandt. Graf Ilban ist nur eine Galionsfigur und würde es niemals wagen, etwas gegen mein Haus zu unternehmen.«
Duncans Stirn legte sich in nachdenkliche Falten. »Cyborgs sind Zwitterwesen aus Maschinen und biologischen Körpern.«
Tessia ließ sich nicht beirren. »Solange kein technisches Element die Funktion des menschlichen Geistes simuliert, haben wir nichts zu befürchten.«
»Es gibt immer etwas zu befürchten«, sagte Duncan und dachte an den unerwarteten Überfall auf Ginaz. Sein schroffer und ernster Tonfall erinnerte sehr an Thufir Hawat, der noch nicht von seinen Verhandlungen mit den Tleilaxu zurückgekehrt war. »Fanatiker sind nicht dafür bekannt, dass sie Tatsachen rational analysieren.«
Leto hatte sich immer noch nicht vollständig von seinen Verletzungen erholt. Er stieß einen schweren Seufzer aus und hob eine Hand, bevor der junge Mann weitere Einwände vorbringen konnte. »Genug, Duncan und Tessia. Natürlich werden wir bezahlen. Wenn es eine Möglichkeit gibt, Rhombur zu retten, müssen wir sie nutzen.«
* * *
An einem bewölkten Nachmittag saß Leto in seinem Arbeitszimmer und versuchte sich auf die caladanischen Geschäfte zu konzentrieren. Auch wenn ihre persönliche Beziehung immer schlechter geworden war, hatte Kailea in den vergangenen Jahren mehr Arbeit erledigt, als Leto bewusst gewesen war. Er seufzte und ging noch einmal die Zahlen durch.
Thufir Hawat marschierte herein. Er war von seiner Mission zurückgekehrt und kam direkt vom Raumhafen. Mit zutiefst beunruhigter Miene stellte er einen versiegelten Nachrichtenzylinder auf den Schreibtisch und trat zurück, als wäre ihm die Angelegenheit äußerst zuwider. »Von den Tleilaxu, Mylord. Das sind ihre Bedingungen.«
Herzog Leto nahm den Zylinder in die Hand und suchte in Hawats Gesicht nach irgendeinem Hinweis. Dann öffnete er besorgt den Deckel. Ein Blatt aus braunem Papier fiel heraus. Es war so weich, als wäre es aus menschlicher Haut hergestellt worden. Schnell überflog er die Worte, während sich sein Puls beschleunigte.
An die Atreides: Nach Ihrem grundlosen Angriff auf unsere Transportschiffe und Ihrer verschlagenen Flucht vor der Gerechtigkeit haben die Bene Tleilax nur auf eine Gelegenheit wie diese gewartet.
Seine Hände fühlten sich feucht und kalt an, als er weiterlas. Leto wusste, dass Hawat dagegen war, die Tleilaxu über das unsichtbare Kampfschiff der Harkonnens zu informieren. Wenn zu viele Personen von dieser gefährlichen Technik erfuhren, geriet sie vielleicht irgendwann in die falschen Hände. Vorläufig schien das Wrack bei den Bene Gesserit gut aufgehoben zu sein, da sie keinerlei militärische Ambitionen verfolgten.
Nur eins stand fest: Ohne Beweise würden die Tleilaxu ihm niemals glauben.
Wir können Ihren Sohn wieder zum Leben erwecken, aber dafür müssen Sie einen hohen Preis zahlen. Nicht in Solaris, Gewürz oder irgendwelchen anderen Wertgegenständen. Stattdessen fordern wir, dass Sie uns Prinz Rhombur Vernius überlassen – das letzte noch lebende Mitglied des Hauses Vernius und die einzige Person, die unseren Anspruch auf Xuttuh gefährden kann.
»Nein ...«, flüsterte Leto. Hawat stand starr wie eine Statue der Verbitterung da.
Er las weiter.
Wir garantieren Ihnen, dass Rhombur kein körperlicher Schaden zugefügt wird. Aber Sie müssen sich entscheiden. Nur auf diese Weise werden Sie Ihren Sohn zurückerhalten.
Hawat kochte vor Wut, als Leto den gesamten Inhalt der Botschaft vorgelesen hatte. »Wir hätten damit rechnen müssen. Ich hätte es vorhersehen müssen.«
Leto breitete das Schreiben auf dem Tisch aus und sagte mit schwacher Stimme: »Lassen Sie mich allein, Thufir. Ich muss darüber nachdenken.«
»Darüber nachdenken?« Hawat warf ihm einen überraschten Blick zu. »Mylord, Sie können doch nicht ernsthaft ...« Doch als er Letos zornige Miene sah, verstummte der Mentat. Er verbeugte sich knapp und verließ das Arbeitszimmer.
Leto starrte auf die grausamen Forderungen, bis ihm die Augen brannten. Seit Generationen stand der Name der Atreides für Ehre, Rechtschaffenheit und Integrität. Er konnte sich seiner Verpflichtung für den Prinzen im Exil nicht entziehen.
Aber Victor ... Victor!
Wäre es nicht ohnehin besser für Rhombur, wenn er starb? Ohne unmenschliche Cyborg-Ersatzteile? Als Leto darüber nachdachte, spürte er eine dunkle Stille in seiner Seele. Wie würde die Geschichte ihn beurteilen, wenn er Rhombur an seine eingeschworenen Feinde verkaufte? Würde man ihn Leto den Verräter und nicht Leto den Gerechten nennen? Es war ein unlösbares Dilemma.
Im tiefsten Zentrum seiner Seele, das nur ihm zugänglich war und wo es nur absolute Wahrheit gab, geriet Leto Atreides' Entschlossenheit ins Wanken.
Wer ist mir wichtiger – mein bester Freund oder mein Sohn?